Wirbelnder Kohleruß in zartblauer Frühlingsluft
Eisenbahner sein ist eine gute Schule für junge Menschen
Am 23.4. ging es zu einem Familienausflug zur Schmalspurbahn nach Jöhstadt.
Als wir am Bahnhof ankommen ist der Vorplatz nahezu menschenleer, der Himmel seltsam bewölkt. Just im Moment als ich aus dem Auto aussteige, beginnt ein warmer Nieselregen, der kräftiger wird. Der Bahnhofsplatz wirkt sehr aufgeräumt, aber gepflegt und sauber. Ein verklinkertes Bahnhofshäuschen aus dem 19 Jhd. erwartet uns, aber alles verschlossen. In der Zwischenzeit erkunde ich das Gelände etwas. Einsam steht eine winzige schwarz leuchtende Mini Diesellok auf den Gleisen. Ich versuche in meinem Gedächtnis zu kramen, den vor etlichen Jahren für ich diese Strecke schon einmal ab. Der Regen lässt wieder nach. Ohne dass ich es merke, besiedeln wenige Passanten das Bahngelände. Das frische Frühlingsgrün taucht auch hier die Landschaft in eine optimistische Aufbruchsstimmung. Die Natur ist hier oben noch nicht so weit, wie weiter unten im Flachland. Beim genauen Hinsehen merkt man das. Der Löwenzahn ist hier noch Gelb. Eschen und Eichen beginnen gerade erst auszutreiben, was sie bei uns im Chemnitzer Umland schon vor Wochen getan haben. Kein Wunder, Steinbach liegt mehrere hundert Höhenmeter höher als Chemnitz.
In der ferner ertönt ein Pfiff! Ah, durch die grüne Blätterwand sehe ich winzig etwas bewegen. Tatsächlich, der Dampfzug kommt. Langsam und behäbig, wie eine kleine Spielzeugeisenbahn kommt er angeschlichen. Ja, der schnellste ist er nicht gerade, das wusste ich schon. Als er jedoch immer näherkommt, wird es trotzdem umso eindrucksvoller. Alle Blicke sind nun auf die heranschnaufende und rumpelnde Eisenbahn gerichtet. Dicke graue Rauchwolken stampft sie in die zarte blau-grüne Frühlingsidylle. Die krachenden und zischenden Geräusche werden immer lauter. Ich schieße einige Fotos. Es rumpelt und schnauft. Nun muss der Zug halten. Hektische Betriebsamkeit am Bahnsteig entsteht. Am Bahnübergang fällt mir ein älterer Herr mit einer kleinen Jugendgruppe auf. Er erklärt etwas. Mit scharfen, einpeitschenden Worten scheint er den Jungs etwas einzutrichtern, die Blicke der Jungs sind artig auf ihn gerichtet und „ganz Ohr“. Es geht um Verantwortung und Sicherheitsbestimmung. „Herr XY ist für euch zuständig, wendet euch immer an ihn…“ Sein Gebärden ist fast drohend und unmissverständlich. Keiner der Jungs wagt es Späßchen zu machen oder unaufmerksam zu sein. Offenbar wirkt der ernste Duktus des Meisters.
Ja bei der Bahn geht es um Disziplin. Es geht um Regeln. Es geht um Mechanik. Es geht um unabwendbare Zusammenhänge aus Ursache und Folge.
Der Mensch schaffte es, dass Feuer und den Dampf zu bändigen. Durch seinen Geist erschuf er eine ziemlich komplizierte Apparatur, die es ermöglicht, die gewaltig ausdehnende Kraft von Feuer erhitzten Dampfes auf ein eisernes Rad zu lenken. Fauchend und mit einem gewaltigen Zischen und Stampfen strömt der unbändige Dampf durch den Kessel. Er zwingt mit eiserner Macht sich über Stangen und Hebel und setzt das Rad in eine Drehbewegung. Das ist der Moment in dem der Mensch die Natur sich zum Untertan macht, und zum Herrscher wird über Zeit und Raum. Er erkannte die Elemente und die Gesetze der Natur, und machte sie zu seinem Diener. Von dieser epochalen Zäsur in der Entwicklung der Menschheit profitieren wir heute noch. Er schürt das Feuer und kann spielend, mit einem Fingerschnipp tausende Tonnen in Bewegung setzen. Allein durch die Kraft des Feuers. Kohle, die Unmengen an glühender Energie speichert, holte der mühsam aus der Tiefe. Schwarzverschmierte Gesichter der Lokführer und ihre schwarzen Anzüge, dicker schwarzer Rauch und winzig umhertanzende Kohlepartikel, ein kräftiger Geruch nach Kohleabgas zeugt davon.
Den Beruf des Lokführers umhüllt eine Aura des Besonderen, früher Traum fast jeden Jungens. Doch ist sie in Wirklichkeit mühevolle Drecksarbeit und stolze Verantwortung, Beherrschung zugleich. Der Lokführer ist der Einzige, der das Wirrwarr aus hundert golden messingen Hebelchen und Handrädern beherrscht, und der Meister ist über das stählerne Ungetüm. Seine Hand und sein Geist lenkt Tausend Tonnen Stahl, ist Herr über tausend Grad glühen heißen Feuers, und zischenden, energiereichen wahnsinnig heißen Dampfes. Seine einzige Hand ist es, die es kraftvoll pfeifen lässt und ankündigt, dass sich nun durch das Öffnen eines Ventils langsam aber mit unaufhaltsamer Kraft das riesige eiserne Ross in Bewegung setzen wird. Diese Tätigkeit ist lodernde Faszination mit allen Sinnen und große Bewährung zugleich. Der Lokführer hat Verantwortung für einen Zug von hunderten, gar tausenden Tonnen Stahl. Ist so ein Ungetüm erst einmal in Bewegung, hält dieser nicht gleich wieder an auf 3 Metern wie ein Fahrrad. Der Lokführer muss vorausschauend denken und sehr aufmerksam sein. Er muss seine Technik aus dem FF beherrschen, jeder Griff muss sitzen. Er muss die Strecke kennen und wissen wie sich sein „Pferdchen“ verhält, welche Mucken und Launen es gerade hat. Er muss die Strecke beobachten. Gibt es Hindernisse? Anomalien? Unterwegs sind zahlreiche Bahnübergänge zu überfahren. Schranken gibt es hier nicht. Der Lokführer arbeitet mit dem Schaffner und Fahrdienstleiter Hand in Hand zusammen.
Wie vor hundert Jahren gibt dieser dem Lokführer mit einem hellen Trillern aus seiner Pfeife und einem Handzeichen das Signal zur Abfahrt. Der Lokführer und der Fahrdienstleiter sind dafür verantwortlich, dass die Zugfahrt reibungslos vorangeht und der Zug pünktlich ist, und an der richtigen stelle punktgenau anhält. Anders als in immer moderner und damit anonymer und versteckt immer automatisch technisierter werden Zügen ist hier noch echte menschliche Aufmerksamkeit und Tatkraft gefragt. Der Lokführer lehnt sich aus seinem Häuschen und beobachtet das Gleis. Der Schaffner springt als erster auf den Bahnsteig und hilft den Passanten. Türen müssen mit der Hand geöffnet und geschlossen werden. Das Abfahrtsignal wird manuelle durch eigene Körperkraft gegeben. Der Mensch entscheidet und nicht die Maschine. Weichen werden mit der Hand gestellt, wie vor 150 Jahren.
Die Eisenbahn brachte auch die Geschwindigkeit, die Beschleunigung der Zeit nach Deutschland. Und die Disziplin. Von nun an mussten alle Uhren genau gestellt werden. Die Eisenbahn taktet Deutschland.
Ist Eisenbahner und Lokführer ein zuvorderst männlicher Beruf? Schwer, technisch und schmutzig. Das zu mindestens auf einer der Dampflok. Ohne schwere Arbeit und Dreck geht es nicht ab. Der Fachmann in des weiß zwischen dem „feinen“ von außen nicht ohne weiteres ersichtlichen Unterschied zwischen Lockführer und Heizer.
Ich denke auch an einige Jungs die als Jugend-AG in der „Pioniereisenbahn“ (heute Parkeisenbahn) Chemnitz ihren Dienst tun dürfen. Diese Tätigkeit ist höchst lehrreich und spannend zugleich. Hier lernen Kinder und Jugendliche vieles fürs Leben, was kein Computerspiel ihnen beibringen wird.
Ich trage eine Unform. Eine Unform ist etwas äußerst symbolträchtiges, insofern höchst sinnstiftendes für den Menschen und auch etwas für den Heranwachsenden. Wie eine zweite Hülle über der haut macht sie die Person zu etwas besonderem. Alle anderen wissen und auch ich selbst, ich habe eine bestimmte Bedeutung, ich erfülle einen Zweck. Ich trage Verantwortung. Mit einer Eisenbahner Uniform auf dem Bahnsteig wird derjenige oder diejenige sofort erkannt und möglicherweise angesprochen. Ich darf dieser Verantwortung gerecht werden. Ich darf Menschen Auskunft geben, ich darf sie begrüßen, ich darf ihnen behilflich sein, ich darf ihnen hinweise manchmal auch Aufforderungen geben. Die Unform verleiht also sogar auch Autorität. Dieser Mensch steht nun in gewissen Belangen, über den von „normalen“ Menschen. Aber sie verleiht zuvorderst auch Sinn, und das ist ganz entscheidend. Das Tragen dieser Funktion die ich kraft der Unform nun ausfülle ist Herausforderung und Ehre zugleich.
Der Junge Eisenbahner (darin eingeschlossen sein darf selbstredend auch in junge Eisenbahnerin) lernt Disziplin, er lernt Ordnung, er lernt Struktur. Bei der Eisenbahn muss wortwörtlich alles in geregelten Bahnen verlaufen. Er lernt, was es bedeutet eine höhere Verantwortung zu tragen. Ältere Menschen sollten mehr Mut haben, jüngeren Verantwortung zu übertragen und selbstverantwortlich zu sein. Selbstverantwortung ist wichtig. Er lernt auch Freude an der Arbeit, und er lernt Kommunikation. Er lernt Aufmerksamkeit gezielt abzurufen und gezielt zu lenken. Seine Sinne auf das zu fokussieren auf was es drauf ankommt und nicht herumzuträumen. Er lernt den Aufschub von Ablenkungen und kurzweiligen Belohnungen. Etwas was man zuvorderst am Smartphone und an der Spielekonsole eben genau nicht lernt, sondern hier lernt man leider das Gegenteil davon, Verkürzung der Aufmerksamkeitspanne, Abschwächung des geistigen Muskels und der Konzentrationsfähigkeit, dazu Vermüllung des Geistes mit Belanglosigkeiten.
Ich könnte mir also vorstellen, das das durchlaufen oder mitmachen an einer echten Kindereisenbahn mit Beaufsichtigung durch Erwachsene jedem Kind etwas bringt. Sich das Kind enorm weiterentwickeln lässt. Sich entwickeln lässt in die Richtung eines Verantwortungsbewussten Erwachsenen. Mit einer Technik die noch anfassbar und erlebbar bist, Naturgewalten und Mechanik veranschaulicht. Regeln veranschaulicht die menschliche Entscheidung und Wahrnehmung, die eigene Hand und Körperkraft und letztendlich die mechanische Auswirkung auf die Technik veranschaulichen. Diese Lernstation sollte jedes Kind in seinem Kinder-Dasein einmal durchlaufen. Verantwortung tragen, lernen und selbst Entscheidungen treffen. Zu wissen, ich bin dafür verantwortlich, dass ein Zug von hunderten Tonnen und mit hundert Passagieren an Bord aufs richtige Gleis rollt. Pünktlich ankommt. Niemand zu Schaden kommt.
Den Fahrgast als Kunde sehen. Dienen zu dürfen.
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